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Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte

Steckbrief

Aktueller Stand (14.05.2021):

Am 11. Januar hat die Mehrheit des Innenausschusses im EU-Parlament für den stark kritisierten Entwurf der Terreg-Verordnung gestimmt. Am 20. April stimmte das LIBE Committee (also der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres) für den Entwurf. Es gab keine weitere Abstimmung im Parlament, da ein entsprechender Antrag nötig gewesen wäre. Die Verordnung gilt damit als gebilligt und wird in einem Jahr EU-weit in Kraft treten. 

Eigentliches Ziel:

Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte und Propaganda im Internet

Gefahren:

Die neue Verordnung sieht vor, dass Plattformen innerhalb des Zeitraums von einer Stunde „terroristische Inhalte“ löschen müssen. Sog. „Trolle“ könnten Plattformen aktiv Schaden zufügen, indem sie aktiv terroristische Inhalte hochladen. Eine Kontrolle durch Moderatoren ist damit unmöglich, weshalb die Plattformen auf Uploadfilter zurückgreifen müssen. Die effizientesten Uploadfilter werden von größeren Plattformen entwickelt. Kleinere Plattformen verfügen über keinerlei Mittel, diese Technologien zu entwickeln oder von den großen Plattformen abzukaufen. Blogs, Wikipedia oder allerlei Foren müssen möglicherweise ihren Betrieb einstellen, weil sie diese Verordnung nicht erfüllen können. 

Wieder baut die EU auf einer Technologie, welche z. B. den Brand von Notre Dame mit einem Video der Anschläge vom 11. September 2001 verwechselte. Da vor allem kleinere Websites den Einsatz funktionierender Uploadfilter nicht gewährleisten können werden sie auf sog. Geoblocking (Ländersperren) zurückgreifen. Durch den gleichen Mechanismus könnte auch der Zugriff europäischer Nutzer auf außereuropäischen Websites verhindert werden. So lässt sich befürchten, dass es nur noch innereuropäische Websites benutzt werden können. Dass dadurch der Ursprungsgedanke des „World Wide Web“ verloren geht, wäre dann nur die Spitze der Fahnenstange.

Die EU konnte sich nicht darauf festlegen, was EU-weit als Terrorismus gilt. Aus diesem Grund wurde ein äußerst schwammiger Begriff in der Verordnung festgeschrieben. Das große Problem dabei: Behörden eines Landes dürfen die Löschpflicht EU-weit nutzen. Im Extremfall könnten autoritäre Regierungen TERREG ausnutzen, um unliebsame Meinungen im deutschen Internet oder in der ganzen EU löschen zu lassen. So könnte Kritik von Oppositionellen nicht nur z. B. in Ungarn gelöscht werden, sondern in der kompletten EU, obwohl der Inhalt in einigen Ländern noch unter die Meinungsfreiheit fallen würde. Ein Beispiel? Ungarn betrachtet Umweltschützer derzeit als „Öko-Terroristen“.
Noch ist zudem noch nicht geklärt, welche Behörden die Löschbefugnisse erhalten sollen. Eine Unabhängigkeit ist also nicht gesichert. So wäre es möglich, dass sowohl Dorfpolizist als auch Innenminister Löschungen anordnen könnte.

Erhält eine Plattform eine Löschanordnung durch eine Behörde, soll sie anhand ihrer AGB entscheiden, ob der Upload gelöscht werden muss oder nicht. Der Nutzer muss nicht einmal über seine Sperrung oder die Löschung seiner Inhalte informiert werden. Hiermit werden die Plattformen in eine hohe Machtposition gehoben, die den Raum für z. B. Meinungsmanipulation öffnen kann.

Videos zum Thema

Hintergrundinformationen

Am 12.09.2018 erklärte Jean-Claude Juncker, damaliger Präsident der EU-Kommission, dass die Kommission neue Regeln vorschlagen will, um terroristische Propaganda binnen einer Stunde aus dem Internet zu entfernen. Das sei das entscheidende Zeitfenster, während dessen Öffnung größter Schaden angerichtet werden kann. Bei vielen der jüngsten Anschläge in der EU sei deutlich geworden, wie Terroristen Internetplattformen missbrauchen, um ihre Botschaft zu verbreiten. Dies war die Geburtsstunde von TERREG. Die Idee wird in der Praxis nun zur Gefahr für kleine Blogs, die europäische Digitalwirtschaft und letztlich auch die freie Meinungsäußerung.

Die Verordnung soll beispielsweise für alle Online-Plattformen gelten, die hochgeladene Inhalte hosten. Das betrifft also auch wieder kleine Plattformen und Start-Ups. Und alle sollen gleichermaßen verpflichtet werden, auf Anordnung innerhalb einer Stunde illegale Inhalte zu entfernen. Genau das kann man aber nicht von Websites verlangen, die nur von kleinen Organisationen oder gar Einzelpersonen betrieben werden. Sie können die geforderte Präsenz rund um die Uhr nicht leisten. Darüber hinaus ist eine Stunde auch zu kurz, um z. B. eine grundlegende Plausibilitätsprüfung durchzuführen, ob der Upload wirklich illegaler Content oder doch nur Teil journalistischer Berichterstattung ist. Letztlich ist nicht einmal die Definition der Kommission für terroristische Inhalte wirklich klar.

Weil die EU sich bisher nicht darauf festlegen konnte, was als Terrorismus gilt. Das wird in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich ausgelegt. Infolgedessen wurde nur eine vage wirkende Definition in der Verordnung festgeschrieben. Einerseits scheint die Definition zwar klassisches Propagandamaterial von terroristischen Organisationen zu umfassen, einschließlich Bauanleitungen für Waffen. Andererseits würden derzeit aber auch legale Inhalte wie wissenschaftliche oder journalistische Artikel darunterfallen.

Durch die Verordnung erhalten in jedem Mitgliedsland Behörden EU-weit geltende Rechte. Eine ausländische Behörde kann damit in Deutschland Inhalte aus dem Internet löschen lassen, die sie selbst nach der vagen Definition als Terrorismus ansieht. Dann ist die Plattform am Zug. Sie soll die Illegalität des Uploads in Bezug auf ihre eigenen Nutzungsbedingungen feststellen – nicht etwa nach Gesetzeslage. Das heißt im Übrigen auch umgekehrt, dass sich die öffentlichen Ämter und Strafverfolgungsbehörden, die eine Löschung anordnen, formal an den Maßstäben der Plattformen orientieren müssen. Und diese sind grundsätzlich profitorientierte Privatunternehmen. Bereits jetzt sind die AGB der großen Plattformen so formuliert, dass sie alle Inhalte verbieten, die in irgendeinem Land unerwünscht sein könnten. Das führt dazu, dass auch prinzipiell legale Inhalte gelöscht werden (Overblocking).

Die Plattformen sollen formal die Kriterien aufstellen, nach denen etwas als Terrorismus gilt und gelöscht wird. An anderer Stelle des Kommissionsvorschlages wird noch deutlicher, dass die großen Plattformen gestärkt werden. Denn die Verordnung sieht vor, dass die Plattformen „proaktive Mittel“ einsetzen sollen, um Uploads mit terroristischem Inhalt zu verhindern. Damit sind Uploadfilter gemeint. Mit all der Fehleranfälligkeit, die aus vorherigen Diskussionen bereits bekannt ist: Automatisierte Filter erkennen weder Kontext noch Satire oder Überspitzung. Sie erkennen nur die Wortwahl, das Foto, etc. Die Entwicklung von Filtertechnologie ist aufwendig und kostspielig, und so können sich das wiederum nur die großen, millionenschweren Plattformen leisten.
 
Damit sind Uploadfilter in einem neuen Kontext wieder im Gespräch.
 
Die deutsche Bundesregierung unterstützt die Verordnung „proaktiver Mittel“ an die Plattformen. Deutschland hatte bis Ende des Jahres 2020 die EU-Ratspräsidentschaft und vertrat damit die nationalen Regierungen in Verhandlungen mit dem Europaparlament zu aktuellen Gesetzgebungsverfahren.
 
Das steht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag von 2018 sowie zu den Diskussionen um die Urheberrechtsreform, wo die Bundesregierung Uploadfilter als „unverhältnismäßig“ ablehnt!

Zitate

 
 
Der Terrorismus kann nicht mit einer Verordnung zur Löschung illegaler Inhalte online aufgehalten werden. Sie kann höchstens ein Schritt zu einer umfassenden Strategie sein. Darüber müssen wir uns im Klaren sein, bevor wir eine Verordnung verabschieden, die einige unserer Grundfreiheiten und damit Grundzüge unserer freiheitlichen Demokratie opfert, nur um einen von vielen Risikofaktoren der Radikalisierung zu eliminieren.” – Julia Reda
 
 
Kaum sind die Proteste gegen Uploadfilter-Zensurmaschinen vorbei, bricht die Bundesregierung hinter verschlossenen EU-Türen alle öffentlichen Versprechen. Die Forderung des Europäischen Parlaments, Filterpflichten auszuschließen, lehnt die Bundesregierung ab.“ – Patrick Breyer
 
 
„Damit gerät Journalismus unter Generalverdacht.” – Petra Kammerevert (SPD-Europaabgeordnete)

 

Weiterführende Informationen